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Bibel im Prisma von Meditation und Kontemplation

  • Fr. Adrian

Die Bibel legt das Fundament; bauen wir darauf die Architektur unseres Lebens im Sinne Gottes auf

 

Spröde Bibel?

 

Im Unterschied zu den heiligen Schriften des Hinduismus und Buddhismus oder der japanischen Zen-Überlieferung enthalten die biblischen Schriften keine besonderen Methoden der Sammlung, der Meditation oder Kontemplation. Sie spielen an manchen Stellen auf persönliches Gebet, Versenkung in Gott, Ekstasen und auf Praktiken der Askese wie Nachtwachen, Fasten und Einsamkeit an. Doch finden wir keine systematischen Methoden, welche den Weg zu Konzentration, Einkehr in sich selbst, Aufstieg über die sinnliche Realität hinaus oder in die Versenkung hinab lehren.

 

Ist das ein Mangel der Bibel? Die starke Anziehungskraft der östlichen Religionen auf heutige Menschen hängt wohl auch mit ihren Anleitungen zu Wegen der Meditation zusammen. Es macht den Anschein, als könnte die Heilige Schrift sowohl im Alten wie im Neuen Testament den tiefen Wunsch der Menschen nicht erfüllen, ihr inwendige Welt zu erkunden, die sie in sich erahnen. Sie suchen Anleitung, Lehre, Erfahrung, Übung durch Fachkundige, die sie in diese Räume hineinführen. Diesem Bedürfnis nach erfahrenen Männern und Frauen, die etwas von den inneren Kammern, der inneren Burg der Seele wissen und ihre Einsichten weitergeben können, scheint die Bibel kaum zu antworten.

 

Karge Bibel für Christen?

 

Dasselbe fällt auf, wenn man sich den zahlreichen Schriften zuwendet, welche die Kirche durch die Jahrhunderte hervorgebracht hat, in denen innere Erfahrungen zahlreicher Geistlicher Meister, Frauen und Männer, zu Worte kommen. Das sind die überaus mannigfachen geistlichen Werke, die oft auch als spirituelle oder mystische Zeugnisse bezeichnet werden. Alle christlichen Kirchen haben solche Quellen. Es gibt sie seit dem Anfang der Kirchengeschichte im Altertum. Die Zahl dieser Anleitungen zu Sammlung, Einkehr in sich selbst, Abkehr von leerem Lärm, Gottessuche ist unübersehbar gross. Nur einige Beispiele, die einen blassen Hinweis auf den Reichtum dieser Literatur geben: die Schriften der alten Mönche in Ägypten seit dem 3. Jahrhundert, die Bekenntnisse des Heiligen Augustinus, die Benediktsregel, das Herzensgebet der Athosmönche, das Buch der Philokalie, Sammlung von Stellen aus den Kirchenvätern und weit verbreitet in der Orthodoxie, das Werk Hildegards von Bingen, Bernhard von Clairvaux’s glühende geistliche Lehre, Katharina von Siena mit ihren Briefen und ihrem Buch von der göttlichen Vorsehung, geschrieben in Zeiten der Kirchenspaltung, die Imitatio JesuChristi (Nachfolge Jesu Christi) von Thomas von Kempis aus dem späten Mittelalter, die Exerzitien des Heiligen Ignatius von Loyola, die Lehren der heiligen Teresa de Jesús und Johannes vom Kreuz, Bruder Charles de Foucauld’s am Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene Schriften usw.

 

Die Liste könnte fast endlos fortgesetzt werden und müsste auch die protestantischen geistlichen Autoren einschliessen und sich auf die jüdische Welt ausdehnen. Diese reichen Erfahrungen in der Erkundung des inneren Horizonts, der sich in unserer Brust, in Herz und Seele auftut, und den diese Quellen alle auf ihre Weise aufbewahrt haben steht in einem überraschenden Gegensatz zur Kargheit der biblischen Schriften in dieser Hinsicht. Es muss auch festgestellt werden, dass diese grossartige und reiche Literatur fast nur gläubigen Christen bekannt ist und nur wenige Aussenstehende interessiert.

 

Ausstrahlung von Meister Eckhart

 

Eine Ausnahme macht Meister Eckhart, der an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert in Deutschland gelebt hat. Seine mystischen Schriften gehören zu den berühmtesten Werken der mystischen Literatur, obwohl sie auch zu den schwierigsten zählen.  Er wird von vielen nicht christlichen Lesern als ein Meister innerer Erfahrungen und Sammlung hochgeschätzt. Das hängt mit der Eigenart seines Denkens und seiner Darstellung zusammen. In manchen seiner Werke spricht er in philosophischen Begriffen, die sich scheinbar von dem eigentlich christlichen Glauben entfernen. Jesus Christus, der Mensch gewordene Sohn Gottes, tritt in den Hintergrund. So entsteht der Eindruck, er selbst beschreibe eine innere Welt ausserhalb des christlichen Glaubensbekenntnisses. Diesen Eindruck hatten schon Zeitgenossen Meister Eckharts, und er sollte wohl zu der Anklage führen, die gegen Ende seines Lebens gegen ihn erhoben wurde, in seiner Lehre gäbe es schwere Mängel an Rechtgläubigkeit. Meister Eckhart starb, noch bevor er diese Anklage entkräften konnte. Er wurde erst in jüngster Zeit ganz rehabilitiert. P. Heinrich Stirnimann, ein Dominikaner (1920-2005), der in Freiburg in der Schweiz Fundamentaltheologie lehrte, hat sich für diese Anerkennung der einwandfreien Lehre Meister Eckharts besonders eingesetzt.

 

Meister Eckhart war gläubiger Christ. Das Gesamtwerk Meister Eckarts, der ein Predigerbruder (Dominikaner) war, entzieht jedem Zweifel daran die Grundlage. Er lebte und lehrte als gläubiger christlicher Theologe und Seelsorger, und unter seinen Zuhörern und Zuhörerinnen fanden sich viele Klosterfrauen. Einer seiner berühmtesten Schüler, der bei ihm als junger Predigerbruder in Köln studierte, der Selige Heinrich Seuse (wohl aus dem Thurgau über dem Bodensee gebürtig und in Konstanz aufgewachsen), selbst ein ganz bedeutender Mystiker und geistlicher Führer vieler Menschen, stellt ihm das Zeugnis aus, er habe ihm in grosser innerer Not geholfen, den Frieden des Herzens zu finden.

 

Die Bibel als Fundament der Kontemplation

 

Leben und Werk Meister Eckarts zeigen besonders gut, in welchem Verhältnis Bibel und kontemplative Wege zueinanderstehen. In ihr ist das meditative und Kontemplative ganz an den christlichen Glauben gebunden., der auf der biblischen Botschaft beruht. Sie ist das Fundament.  Man darf die beiden nicht gegeneinander aussielen. Das ist deshalb so, weil die innere Welt Gott zugewandt ist. Er ist der eigentliche Urheber jedes einzelnen Menschen. Er ruft ihn in eine persönliche Beziehung zu ihm hinein. Diese ist von Liebe geprägt. Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, um alle Menschen und jeden einzelnen von ihnen zu ihm hinzuführen. Das hat der Sohn Gottes, Jesus Christus durch seine Lehre getan, aber auch durch die Hingabe seines menschlichen Lebens. In diesem Gesamtwerk des schöpferischen und erlösenden Gottes empfängt das Leben der Menschen seinen Sinn.

 

Daher ist der Weg der Erkundung der inneren Weiten ein Weg, der von Gott und von Christus ausgeht und zu ihnen zurückführt. Dort sind Grundlage und Ziel des Meditativen und Kontemplativen, und das ist der Hauptinhalt der Heiligen Schrift. Sie legt das Fundament des Glaubens an Gott, den Schöpfer und Erlöser. In diesem Boden kann die Aufmerksamkeit auf das, was wir im Tiefsten sind, wurzeln und aufblühen- Was ist Betrachten, Meditieren und Kontemplatives bei sich Sein anderes als diese Aufmerksamkeit?

 

Meditation und Kontemplation meinen die sorgfältige Beobachtung von allem, was uns Frieden und Freiheit bringt, die uns nicht genommen werden können. Zu diesem gehört Gott und Christus. Denn sie stehen am Ursprung unseres Daseins, und sie sind das Ziel unseres Lebensweges. Zu ihnen sind wir unterwegs. 

 

Sie sind immer da und jederzeit ansprechbar im Gebet. Das ist der erste und Hauptinhalt des Beschaulichen, des Kontemplativen. Die Meditation dient dazu, dass wir das anschaulich vor uns stellen und in der Vielfalt der Lebenslagen nicht aus den Augen verlieren, und, wenn wir es vergessen oder aus unserem Bewusstsein weggedrängt haben, wiederfinden können. Es sind die wunderbaren Mittel, um das zu verwirklichen, was wir aus der Heiligen Schrift lernen. Die Bibel legt das Fundament; in der Kirche finden wir es konkret vor; in Meditation und Kontemplation bauen wir darauf die Architektur unseres Lebens im Sinne Gottes auf.

Das Meister-Eckart-Portal an der Predigerkirche in Erfurt, mit einem Zitat aus Johannes 1,5 („Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“), Relief von Siegfried Krepp (Foto: Michael Sander / Wikipedia / CC BY-SA 3.0)

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