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Im Jammertal

  • Fr. Adrian

Olympische Winterspiele

Vor Jahren fanden olympische Winterspiele in Norwegen statt. Der Ort hiess Lillehammer.

Die Schweizer Sportler schnitten dabei nicht gut ab. Eine bekannte Schweizer Zeitung (deren Namen ich hier nicht nennen will) titelte damals in einer Ausgabe: Lillejammer! Der Titel war vortrefflich gewählt.

Man sah vor sich die Tausenden von Sportfans in der Schweiz: enttäuscht, desillusioniert, erzürnt über den Trainer, missgünstig beim Erfolg der andern, jeder nach seinem Temperament reagierend.

Es war ein Jammer! Die Enttäuschung brannte und schmerzte.
Jammern folgt auf Enttäuschung. Je grösser die Enttäuschung desto brennender der Schmerz und der Jammer. Wo nichts mehr zu retten ist, da bleibt nur noch das Jammern um den Verlust.

Im Jammertal
Die bekannte sprichwörtliche Wendung bezeichnet das Leben als Jammertal. Sie hält dafür, dass Enttäuschungen überwiegen. Es gibt mehr Sorgen und Schmerzen als Freude. Vielleicht spiegelt sie eine depressive Erfahrung, wie viele Menschen sie machen müssen. Aber ein Körnchen Wahrheit ist in ihr für jedes Leben, auch wo es von Depression frei ist. Wer auf das Altern mit seinen Gebrechen blickt, auf das wir ja alle zugehen, kann sich eines bangen Gefühls nicht erwehren. Wie wird unser Alter sein? Wer sich mit Exit zu trösten versucht, gibt im Grunde zu, dass ein Leben, das man durch Selbstmord verlassen muss, wirklich ein Jammertal ist, auch wenn man das garstige Wort Selbstmord hinter dem vornehmeren Fremdwort Suizid schamhaft versteckt.

Tal der Tränen
Die Liturgie der Kirche nennt das Jammertal allerdings anders. Sie bezeichnet es mit dem Ausdruck "Tal der Tränen". Wir weinen in unserem Leben, wie Kinder weinen, wenn sie ins Bett müssen oder umgefallen sind. Die Tränen fliessen bei Kindern oft und leicht. Aber sie trocknen schnell wieder, sobald Schmerz oder Enttäuschung vorübergegangen sind. Der Jammer füllt nicht die ganze kindliche Seele aus. Es ist da immer auch viel Platz für Freude, Spiel und für die Entdeckung der sich erschliessenden Welt.

So meint es der innige liturgische Gesang zu Ehren der Gottesmutter, den die Kirche im Stundengebet am Abend singt, das Salve Regina. Er spricht von dem Tal der Tränen, in welchem "wir Kinder Evas seufzend und weinend wie in Verbannung" leben müssen. Die Tränen werden versiegen, weil Trost und Freude den Schmerz wieder und schliesslich endgültig verdrängen werden.

 

"Man sät unter Tränen, aber mit Jubel wird geerntet!" sagt ein Sprichwort in einem Psalm (126,5). Da liegt der Unterschied zwischen jammern und weinen. Das Jammern dauert, und die Versuchung ist gross, sich im Jammern einzurichten, während die Tränen wieder trocknen und sogar einem Lächeln Platz machen können. Die Quelle der Tränen kann ja nicht immer fliessen. Nach einer Weile versiegt sie. Das Jammern droht dagegen zur Gewohnheit und damit zur zweiten Natur zu werden. Dann ist es um das Aufhören geschehen. Es füllt die Seele aus wie schlechte Luft ein Zimmer bei geschlossenen Fenstern.

Chemische Reaktionen in der Seele
In der Welt der chemischen Substanzen laufen Reaktionen ab. Es finden Verwandlungen statt. Ein Zustand geht in den andern über, manchmal langsam und still und manchmal plötzlich und mit Explosionen. So ist es auch in der menschlichen Seele. Leid und Schmerz fallen in sie hinein und verändern ihren Zustand. Sie verdunkelt sich und verliert das Weiche und Süsse, das sie vorher besessen hat.

Jetzt jammert sie über Verluste und Enttäuschungen. Das Jammern ist dabei wie ein Konservierungsmittel. Es konserviert den Schmerz über das Erlittene. Der Jammer kann dann aber in Tränen übergehen. Das ist eine glückliche Veränderung. Die Tränen lösen den Schmerz und machen die Seele weicher. Dann trocknen sie und lassen Platz für freundlichere Stimmungen, in welchen das Jammern abstirbt. Es bleibt der Schmerz, aber wie durchlüftet. Er ist schwereloser geworden als im früheren Zustand des Jammerns. In diesem Zustand entsteht aus dem erlittenen Leid Klage. Klagen ist aber nicht dasselbe wie Jammern.  Wer klagt, teilt sein Leid mit andern. Wer jammert, bemitleidet sich selbst. Im Selbstmitleid schaut man zurück und ist auf sein Unglück fixiert. Daher ist Selbstmitleid ein Gefängnis, aus welchem man schwer wieder heraus kommt. Geteiltes Leid ist halbes Leid, weil Verständnis und Anteilnahme der andern uns ein Stück weit frei machen. Wir schauen wieder nach vorne.

Jammern ja, aber nicht lange!
Im Unglück ist es unvermeidlich, dass es uns zum Jammern drängt. Wir stehen wie betäubt unter dem Eindruck der Enttäuschung und des Verlustes, die mit ganzer Wucht niedergesaust sind. Wie sollten wir uns da im ersten Moment nicht leid tun? Doch dann regen sich die besseren Lebensenergien. Das sind die Hoffnung, die Zuversicht, auch die Tapferkeit und — als die Prise Salz darin — der unverwüstliche Humor. Die veredeln das Jammern zu einem Baum der Tränen, der schönere Blüten und bessere Früchte trägt. Denn Tränen versiegen und lassen wieder Raum für die Freude.

Skisprung Lillehammer (Martyn Smith, Flickr)

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