Blog

Selig die Barmherzigen, unselig die Hartherzigen

  • Fr. Adrian

Wenn viele ihr Herz weich machen, wird die Welt heller und menschlicher

 

1. Barmherzig im Leben

In meiner Kindheit hat meine Mutter beim Bügeln oder Glätten der Wäsche uns Kindern manchmal aus ihrer Jugend erzählt. Wir hörten ihr gerne zu. Denn das liess uns teilnehmen an ihrem Leben und öffnete uns vergangene Zeiten, die lange vor uns gelebt worden waren. Dabei erinnere ich mich an einen Nachmittag, wo meine kleinste Schwester hinter dem Tisch auf einer Eckbank in der Küche dabeisass. Sie war noch tief im Vorschulalter, also ein noch ganz kleines Mädchen. Ich weiss nicht mehr, was meine Mutter erzählte. Aber plötzlich unterbrach sie sich und sagte zu meiner Schwester: Du dummes Tröpflein, du musst nicht weinen. Das ist doch lange vorbei! Tatsächlich hatte meine Schwester  feuchte Augen. Das Erzählte hatte das kleine Geschöpf sichtbar bewegt und ergriffen.

 

Viel später in meinem Erwachsenenalter, als mir das wieder einfiel, ging mir auf, wie früh das Erbarmen offenbar in unserem Gemüt schon aufwacht. Ich kann nicht mehr sagen, wie alt meine Schwester damals genau gewesen ist, aber ich erinnere mich bestimmt, dass sie ein noch sehr kleines Kind war. Es wurde mir bewusst, wie wunderbar das ist, dass das Gefühl für Mitleid so tiefe Wurzeln in unserer Seele hat, dass sie schon in frühester Kindheit ausschlagen und hervortreten.

 

2. Barmherzig in der Heiligen Schrift

Auch wenn wir vielleicht in der Bibel nicht sehr beschlagen sind, werden wir uns sicher an die Seligpreisung Jesu erinnern: Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit empfangen. Warum ist es für Jesus so wichtig, dass die Menschen barmherzig sind? Eigentlich müsste ich sagen: warum kann er mit so grosser Bestimmtheit versichern: barmherzige Menschen bekommen von Gott selbst als Lohn für ihr Mitleid seine göttliche Barmherzigkeit? Der Grund für dieses feste Versprechen ist ganz einfach, aber diese Einfachheit ist von grösster Tiefe: Gott selbst ist barmherzig, und daher freut es ihn, wenn auch die Menschen es ihm gleichtun und mit andern Menschen mitleiden. Er hat diese Fähigkeit und Gabe in unser Wesen gelegt.

 

In den Psalmen des Alten Testaments geben die Dichter dieser Lieder und Gebete Gott am liebsten zwei Vorzüge: er ist barmherzig und wahr. Man kann diesen Doppelnamen auch verstehen: er ist barmherzig und treu. Keine Eigenschaft Gottes ist in den Psalmen häufiger als seine Barmherzigkeit und seine Zuverlässigkeit.

 

3. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt am besten, was barmherzig sein heisst

Der Evangelist Lukas, 10,25-37, bringt dieses vielleicht beliebteste Gleichnis unter den Gleichnissen Jesu. Es ist so bekannt dass ich es hier nicht nachzuerzählen brauche. Es zeigt mit aller Deutlichkeit, was barmherzig ist. Der vorbeiziehende Ausländer (ein Samariter ist im Gebiet zwischen Jerusalem und Jericho ein Ausländer und ist überdies von anderer Konfession, weil die Samariter auch Juden waren, aber Juden von einer anderen Art als die in Jerusalem mit einem anderen Hauptheiligtum) sah den etwas abseits von der Strasse liegenden überfallenen und verblutenden Mann. Er hätte vorbeigehen können wie der Levit und der Priester, aus Angst, auch ihm könnten Räuber auflauern (er war ein Kaufmann, der Waren und Geld mit sich führte) — es gab ja keine Sicherheit, wie der Überfall auf den am Boden liegenden Mann überdeutlich bewies. Von Polizei und Überwachung der Strasse keine Spur weit und breit. War Anhalten unter diesen Umständen nicht gefährlich? Er hätte sich auch sagen können: ich bin hier ein Ausländer, deshalb geht mich dieser Zwischenfall nichts an. Dafür sind die Behörden und Einwohner des Landes zuständig. Alles schien dagegen zu sprechen, sich hier in einer kriminellen Sache einzumischen.

 

Warum tat es der Samariter dennoch? Aus zwei Gründen: es war der letzte Moment, wenn dem Sterbenden noch geholfen werden sollte, und es war niemand sonst da, der helfen konnte! So verstand der Samaritaner, dass es auf ihn ankam. Er konnte helfen, so musste er helfen.

 

Barmherzigkeit bedeutet dementsprechend: Verantwortung übernehmen, um eine notwendige Hilfe zu erweisen. Es ist Mitleid, aber Mitleid, das verpflichtet.

 

4. Das Gegenteil von barmherzig: gleichgültig und hartherzig

Was Barmherzigkeit ist, kommt zum Vorschein, wenn ihr Gegenteil auftaucht. Das ist Gleichgültigkeit, die sagt: das geht mich nichts an. Ich schaue für mich; andere sollen selber für sich sorgen. Dahinter kann Angst stehen: ich will mich nicht unnötigen Gefahren aussetzen (wie sich der Samariter der Gefahr aussetzte, selber auch ausgeraubt zu werden). Es kann auch Geiz oder Bequemlichkeit sein: Ich will nichts geben und mich in meiner Ruhe nicht stören lassen. Was immer die Beweggründe sind, sie laufen darauf hinaus, die Verantwortung abzuweisen. Damit man sie aber ablehnen kann, muss man sein Herz verhärten. Es darf nicht weich werden, sonst fühlt man die Pflicht zu helfen.

 

Barmherzigkeit ist tatsächlich eine Pflicht. Wo Beistand nötig ist, müssen alle Beistand leisten, die ihn leisten können. Wer das macht, spürt Freude, weil eine gewährte Hilfe die ganze Welt ein kleines Stück schöner macht.

 

5. Das Jahr der Barmherzigkeit von Papst Franziskus

So können wir gut verstehen, warum Papst Franziskus ein Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat. Wenn viele ihr Herz weich machen, wird die Welt heller und menschlicher. Wir leben in einer Zeit grösster Grausamkeiten. Was ist in den letzten Monaten und Jahren nicht alles an entsetzlichen Verbrechen gegen Menschen verübt worden? So wird es gerade heute entscheidend wichtig, dass viele Menschen ein Gegengewicht der Barmherzigkeit in die Welt bringen, damit sie nicht in eine Hölle der Grausamkeit verwandelt wird, sondern im Gegenteil wieder mehr ihrem Schöpfer, dem barmherzigen Gott entspricht.

 

Heilige Elisabeth von Ungarn und Ludwig IV. von Thüringen. Die heilige Elisabeth ist berühmt für ihre Werke der Barmherzigkeit für die Armen. Glasfenster in der Basilika Sankt Patrick in Ottawa, Kanada. Schriftsteller: Mayer Co. von München 1898. (Bild: Aditt/Wikipedia. Diese Datei steht unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizenz. Dieses Bild wurde auf das Format unserer Website zugeschnitten.)

Retour

Commentaires

×

Veuillez renseigner ce champ.

Veuillez renseigner un nom valide.

Veuillez renseigner ce champ.

Veuillez renseigner une adresse email valide.

Veuillez renseigner ce champ.

Google Captcha Is Required!

Vous avez atteint la limite de commentaires !

* Ces champs sont requis.

Soyez le premier à commenter